Mindable Health

Eddie Rietz & Linda Weber, Co-founder der Firma Mindable Health GmbH.

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Eddie Rietz und Linda Weber, haben 2021 die Mindable Health GmbH gegründet. Ihr Ziel: Durch digitale Technologie Psychotherapie zugänglicher machen und den Therapieprozess bestmöglich unterstützen. Dazu entwickelten die beiden mit ihrem Team eine App für Panikstörung und Agoraphobie, die wissenschaftlich fundierte Methoden aus der psychotherapeutischen Arbeit mit intuitiv designten, digitalen Nutzungserlebnissen kombiniert. Mittlerweile ist die Anwendung fest etabliert und als App-auf-Rezept von allen Krankenkassen erstattet.

Im Interview erzählen Eddie und Linda, woher die Idee zur Gründung kam, dass große Herausforderungen zu großen Erfolgen werden können und wo sie noch Nachholbedarf in Sachen Gründungsstimmung in Deutschland sehen. Außerdem lernen wir drei Fun Facts über das junge Unternehmen und erfahren, wie die Beiden das Lebensgefühl als Gründer bzw. Gründerin beschreiben würden.

Wie und wo entstand die erste Idee?

Die erste Idee entstand 2018 als wir, Linda Weber (CEO & Co-founder) und Eddie Rietz (CTO & Co-founder), uns als damalige Mitarbeitende 2018 bei IBM kennenlernten. Wir hatten beide schon länger den Wunsch, zu gründen. Durch längere Auslandsaufenthalte während meines Studiums der Psychologie und International Cognitive Visualization habe ich (Linda) sowohl verschiedene Gesundheitssysteme, als auch die Möglichkeiten der Digitalisierung in diesem kennengelernt. So lag es für mich nahe, diese Erfahrungen zu nutzen und mich der Prozessoptimierung im deutschen Gesundheitssystem anzunehmen. Das fundierte Wissen im Bereich digitale Technologien brachte mein Mitgründer Eddie Rietz mit ein. Sozusagen ein perfektes Match.

Wie war die Situation vor (oder ohne) Mindable Health, welches Problem wollt Ihr lösen?

Die aktuellen Wartezeiten auf einen Therapieplatz in Deutschland betragen derzeit im Schnitt sechs Monate. Tendenz steigend. Das führt, unter anderem, dazu, dass allein unter den von Angststörungen betroffenen Hilfesuchenden 77 Prozent jährlich unbehandelt bleiben. Hinzu kommen weitere Faktoren, wie z.B. regionales Fehlen von Versorgungsangeboten oder Angst vor Stigmatisierung, die Betroffene daran hindern, Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen. Digitale Angebote, insbesondere Apps auf dem Smartphone, können dem entgegenwirken. Sie bieten einen niedrigschwelligen Zugang zu genau den therapeutischen Gesundheitsleistungen, die dringend gebraucht, aber schwer verfügbar sind. Auch während einer Therapie können digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) wie unsere App Mindable als digitale Schnittstelle zwischen Patientinnen und Patienten sowie Therapeutinnen und Therapeuten zum Einsatz kommen. Ein Beispiel: In der Verhaltenstherapie spielen Hausaufgaben zwischen den Therapiestunden eine große Rolle, werden jedoch oft nicht oder unzureichend von den Patientinnen und Patienten ausgeführt. Auch hier kann die App, samt Erinnerungsfunktionen, beim Planen, Ausführen, Protokollieren und Nachbesprechen eingesetzt werden und damit die therapeutische Arbeit unterstützen.

Drei Fun Facts über Mindable Health

  1. Bei Mindable arbeiten derzeit mehr als doppelt so viele Frauen, wie Männer.
  2. Wir nennen uns liebevoll “Eierlegende-Woll-Milch-Säue”, da hier alle über breitgefächerte Skillsets verfügen.
  3. Alle Entwicklerinnen und Entwickler bei Mindable haben mindestens eine Katze und trinken ihren Kaffee schwarz.

Was waren die größten Herausforderungen und Erfolge im Verlauf der Unternehmensgründung?

Die Zulassung zur digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA) war für uns größte Herausforderung und größter Erfolg gleichermaßen. Seit Mai 2021 wird unsere erste App „Mindable: Panikstörung und Agoraphobie“ im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet und wird somit von den Krankenkassen als “App auf Rezept” erstattet. Während des Antragsprozesses waren wir noch ein sehr kleines Team und hatten weder Großinvestoren noch Risikokapitalgeber hinter uns. Es wurden enorm viele regulatorische Anforderungen gestellt, wir bewegten uns auf vollkommen neuem Gebiet und haben uns alles mehr oder weniger selbst erarbeiten. Umso stolzer sind wir, dass wir es in einer so kurzen Zeit von nur 2 Jahren von der Gründung bis zur Produkterstattung geschafft haben.

Das Lebensgefühl als Gründerin und Gründer in drei Worten?

Täglich neue Erfahrungen.

Wie empfindet Ihr die Gründungsstimmung in Deutschland?

Während meines Masterstudiums war ich an Projekten zur Digitalisierung des amerikanischen Gesundheitsmarktes beteiligt und konnte so auch die Gründungsstimmung in den USA kennenlernen. Im Vergleich hat Deutschland noch Nachholbedarf. Zum Beispiel werden  in den USA oftmals mit nur einem Pitch Deck Millionenbeträge erlangt, während in Deutschland eine Millionen ARR (steht für Annual Recurring Revenue, also den Anteil des jährlichen Umsatzes eines Unternehmens) Grundvoraussetzung ist, um weitere Investoren für sich zu gewinnen. Ich würde mir deutlich weniger Riskoaversität unter deutschen Venture Capitalists wünschen, da sonst viele gute Ideen an zu wenig finanziellen Mitteln scheitern bevor es richtig losgeht.

Und in Berlin?

Berlin ist einer der Hotspots für die digitale Gesundheitsbranche in Deutschland und Europa. Deshalb haben wir auch sehr bald nach unserer Gründung unseren Firmensitz und Lebensmittelpunkt nach Berlin verlegt. So sind wir so nah wie möglich am Geschehen und können von den unzähligen Vernetzungsmöglichkeiten profitieren.

Welche Rahmenbedingungen sind fördernd und welche hemmend?

Fördernd ist eine anpackende, praktische und lösungsorientierte Mentalität. Einfach mal machen. Diese erachte ich in Deutschland auf politischer Ebene noch als ausbaufähig. Hier herrscht vorrangig eine Schützermentalität. Das lässt sich gut am Beispiel des Datenschutzes verdeutlichen: Im Englischen wird dieser Begriff nicht etwa mit “data protection”, sondern mit “data privacy” übersetzt. Das wortwörtliche Konzept der data privacy sieht vor, Endnutzende zu befähigen, informierte und mündige Entscheidungen über die Verarbeitung ihrer Daten zu treffen. Welche Daten sie bereit sind zu teilen und welche sie privat halten möchten. Dadurch erhalten Funktion, Nutzungsbedürfnisse und angestrebte Ziele eine Priorisierung über die alleinige Risikoabwehr. Die schützende und – in meinen Augen – entmündigende Haltung im deutschen System führt oft zu Kompromisslösungen, die keine der beteiligten Parteien zufrieden stimmen. Hier wird sich zu wenig an den Bedürfnissen der Endverbraucherinnen und -verbraucher, also der Personengruppe, der das jeweilige Produkt dienen soll, orientiert.

Rückblickend betrachtet: Was hat die Teilnahme am Gründungswettbewerb – Digitale Innovationen für die Entwicklung Eures Unternehmens gebracht?

Die Finanzierung ist für die meisten Start-ups existenzieller Dreh- und Wendepunkt. Dank Preisgeldern, wie wir sie vom Gründungswettbewerb - Digitale Innovationen erhalten haben, war es uns überhaupt erst möglich, erste Schritte zu machen und ein Fundament zu errichten. Wir konnten unsere Jobs kündigen, den Sprung in die Selbstständigkeit und Gründung wagen und ein Unternehmen mit mittlerweile über 20 Mitarbeitenden aufbauen.